Mahler in Toblach
Detaillierte Version
Soweit bekannt hatte Gustav Mahler erstmals im Juli 1897 mit Toblach Kontakt, als er von Vahrn aus eine mehrtägige Fahrradtour ins Pustertal unternahm. Bei seiner Rückkehr erfuhr er von seiner Ernennung zum Vizedirektor der Wiener Hofoper, und Natalie Bauer-Lechner berichtet konkret, dass sie ihn bei seiner überstürzten Abreise "bis nach Toblach" begleitete. Im Juli 1900 war Mahler dann abermals hier mit dem Fahrrad unterwegs – vom Bahnhof Toblach nach Schluderbach, Misurina, Cortina und wieder zurück – um etwas Abstand von seiner Arbeit an der 4. Symphonie zu gewinnen. Diese "Blitzausflüge" um sich geistig zu erfrischen, von Maiernigg am Wörthersee aus, sollten sich auch in den kommenden Jahren wiederholen. 1901 wanderte er "in strömendsten Regen und Gewitter" auf die Dreizinnenhütte, 1902 besuchte er Misurina während er an der 5. Symphonie arbeitete; im folgenden Sommer holte er sich sogar zweimal in den Dolomiten Inspiration für seine 6. Symphonie; in den Jahren 1904 und 1905 für seine 7. Symphonie; und 1906 für die Achte.
Als seine 4 ½-jährige Tochter Marie im Juli 1907 an Scharlachdiphtherie starb und Mahler mit seiner Familie aus Maiernigg floh, war es daher kein Zufall, dass sie in dieser Gegend, die ihm so viel bedeutete, Zuflucht suchten (vorerst in Schluderbach und Misurina). Im Mai 1908 suchte dann seine Frau Alma zusammen mit ihrer Mutter nach einem geeigneten Quartier für den ganzen bevorstehenden Sommer. In Alt-Schluderbach fanden sie den Trenkerhof, den sie als "ein großese Bauernhaus außerhalb des Ortes [Toblach], elf Zimmer, zwei Veranden, zwei Badezimmer, allerdings etwas primitiv, aber herrlich gelegen" beschrieb. Etwas abseits, "am Rande eines Fichtenwäldchens", wurde Mahlers drittes "Komponierhäuschen" errichtet, diesmal nicht gemauert sondern aus Holz. Marianna Trenker, eine Adoptivtochter der Familie (geb. 1906, also bei Mahlers Aufenthalten 2 – 4 Jahre alt), notierte im Jahre 1938 einige "Erinnerungen", die höchstwahrscheinlich auf Erzählungen der Magd Elisabeth Jesacher basieren:
"Dort [im Komponierhäuschen] verbrachte er den größten Teil des Tages und durfte von niemandem, selbst von seiner Frau nicht, gestört werden. Schon frühmorgens mussten die Sachen zum Frühstück bereit stehen: also Tee, Kaffee, Butter, Honig, Eier, Gebäck, Obst und Geflügel. Direktor Mahler ging schon um sechs Uhr früh an die Arbeit. Ein Ofen vervollständigte [neben dem Klavier] die Einrichtung des Häuschens, den er selber anfeuerte und sich das Frühstück bereitete. Das Häuschen musste in einem Umkreis von 1 km von einem 1 ½ m hohen Zaun umgeben sein."
Bei Mahler war im vorhergehenden Sommer ein Herzklappenfehler festgestellt worden und der Arzt hatte ihm jede Anstrengung verboten. Er musste nun auf "kräftige Bewegung" verzichten, seine Arbeitsgewohnheiten "auf Bergen und in Wäldern herumzustreifen und in einer Art keckem Raub" seine Entwürfe davonzutragen um die Skizzen dann am Schreibtisch in Form zu bringen grundlegend ändern. Das Komponieren fiel Mahler deshalb anfangs besonders schwer. Erst am 1. Juli, drei Wochen nach seiner Ankunft, hatte er die Skizze zum ersten Satz von Das Lied von der Erde, in Händen. Diese Hürde überwunden vollendete er das Werk bis zu seiner Abreise am 4. September, obwohl neben seinen Schwiegereltern "zu viele Gäste" zu Besuch waren, darunter die Dirigenten Ossip Gabrilowitsch, Gustav Brecher und Oskar Fried, der Sänger Leo Slezak, die Kritiker Ernst Decsey und Julius Korngold, der Bankier Paul Hammerschlag, und der Regisseur Alfred Roller mit Gattin.
Im nächsten Jahr, 1909, reiste Mahler Anfang Juni nur mit der Köchin Agnes an, nachdem er Alma mit Tochter Anna zum Antritt einer Kur (bis 13. Juli) nach Levico im Trentino begleitet hatte. Diesmal waren es das schlechte Wetter, die anfängliche Einsamkeit und der Lärm im Haus, die ihn vorerst nicht arbeiten ließen. Trotz Regen und Kälte wanderte er aber jeden Tag die 2 ½ km ins Dorfzentrum von Toblach zur "Jause" und um die Post abzuholen, und auch in Aufkirchen war er oft am späten Vormittag anzutreffen.
Erst ab 23. Juni war Mahler in der Lage im Komponierhäuschen zu arbeiten, und gegen Ende August konnte er Bruno Walter berichten, dass er soeben dabei war letzte Hand an eine neue Symphonie zu legen, die Neunte. Darüberhinaus plante er die kommende Saison in New York, wo er seit 1907 tätig war, und widmete sich Gästen. In diesem Sommer waren es u.A. sein Jugendfreund und Anwalt Emil Freund, das amerikanische Ehepaar Arnold, und wiederum die Dirigenten Oskar Fried und Gustav Brecher. Letzterer war im jetzigen Grand Hotel einquartiert und Mahler berichtet vom "Südbahnhotel, das mit einer prächtigen 'Hall' ausgestattet ist, wo ich jetzt täglich meinen Jausencaffe einnehme". Auch Richard Strauss, der mit seiner Frau Pauline auf einer Automobiltour durch die Dolomiten war, traf er später dort zu einem Essen.
Im Sommer 1910 war Mahler anfänglich mit Proben zur Erstaufführung seiner 8. Symphonie in München im September beschäftigt und traf daher erst am 5. Juli in Toblach ein, wiederum nur in Begleitung seiner Köchin. Alma befand sich diesmal in Tobelbad in der Steiermark auf Kur. Alleine an seinem 50. Geburtstag am 7. Juli beklagte er sich in einem Brief an sie: "Sonst ist trotz aller meiner Verbote doch ein ziemlicher Trubel von nichtssagenden Depeschen und Ansichtskarten über mich losgegangen". Das Wetter war wieder kalt und regnerisch, die Kinder und Bauern störten mit ihrem Lärm, es gab viel Korrespondenz mit New York und Korrekturen an den Druckfahnen zur 8. Symphonie. Aber eine noch viel größere Belastung betraf bald sein Privatleben. Alma hatte in Tobelbad eine Affäre mit dem jungen Architekten Walter Gropius begonnen, der nach ihrer Abreise einen kompromitierenden Liebesbrief – angeblich versehentlich – an Mahler adressierte und Anfang August sogar persönlich in Toblach auftauchte. Im Trenkerhof kam es zur Konfrontation. Während Mahler in seinem Zimmer auf und ab ging und bei Kerzenschein die Heilige Schrift las entschied sich Alma in einem Gespräch mit Gropius dafür, bei ihrem Ehemann zu verbleiben. Es spricht für Mahlers unglaublichen Schaffensdrang, dass es ihm trotz dieser großen psychischen Belastung gelang in diesem Sommer zwei Sätze seiner 10. Symphonie und die Entwürfe für die restlichen drei zu komponieren. Seine tiefe Erschütterung durch diese Ehekrise spiegelt sich jedoch in Annotationen in der Partitur wider. Ende August unternahm er letztendlich die weite Reise nach Leyden in Holland, um Siegmund Freud zu konsultieren. Zurück in Toblach wurde am 31. August Almas 31. Geburtstag gefeiert und am 3. September reiste Mahler ab nach München, schwer gezeichnet von den Ereignissen des Sommers, der sein letzter sein sollte. Im Mai 1911 starb er nach 3-monatiger Krankheit an bakterieller Endokarditis in Wien.
Soweit bekannt hatte Gustav Mahler erstmals im Juli 1897 mit Toblach Kontakt, als er von Vahrn aus eine mehrtägige Fahrradtour ins Pustertal unternahm. Bei seiner Rückkehr erfuhr er von seiner Ernennung zum Vizedirektor der Wiener Hofoper, und Natalie Bauer-Lechner berichtet konkret, dass sie ihn bei seiner überstürzten Abreise "bis nach Toblach" begleitete. Im Juli 1900 war Mahler dann abermals hier mit dem Fahrrad unterwegs – vom Bahnhof Toblach nach Schluderbach, Misurina, Cortina und wieder zurück – um etwas Abstand von seiner Arbeit an der 4. Symphonie zu gewinnen. Diese "Blitzausflüge" um sich geistig zu erfrischen, von Maiernigg am Wörthersee aus, sollten sich auch in den kommenden Jahren wiederholen. 1901 wanderte er "in strömendsten Regen und Gewitter" auf die Dreizinnenhütte, 1902 besuchte er Misurina während er an der 5. Symphonie arbeitete; im folgenden Sommer holte er sich sogar zweimal in den Dolomiten Inspiration für seine 6. Symphonie; in den Jahren 1904 und 1905 für seine 7. Symphonie; und 1906 für die Achte.
Als seine 4 ½-jährige Tochter Marie im Juli 1907 an Scharlachdiphtherie starb und Mahler mit seiner Familie aus Maiernigg floh, war es daher kein Zufall, dass sie in dieser Gegend, die ihm so viel bedeutete, Zuflucht suchten (vorerst in Schluderbach und Misurina). Im Mai 1908 suchte dann seine Frau Alma zusammen mit ihrer Mutter nach einem geeigneten Quartier für den ganzen bevorstehenden Sommer. In Alt-Schluderbach fanden sie den Trenkerhof, den sie als "ein großese Bauernhaus außerhalb des Ortes [Toblach], elf Zimmer, zwei Veranden, zwei Badezimmer, allerdings etwas primitiv, aber herrlich gelegen" beschrieb. Etwas abseits, "am Rande eines Fichtenwäldchens", wurde Mahlers drittes "Komponierhäuschen" errichtet, diesmal nicht gemauert sondern aus Holz. Marianna Trenker, eine Adoptivtochter der Familie (geb. 1906, also bei Mahlers Aufenthalten 2 – 4 Jahre alt), notierte im Jahre 1938 einige "Erinnerungen", die höchstwahrscheinlich auf Erzählungen der Magd Elisabeth Jesacher basieren:
"Dort [im Komponierhäuschen] verbrachte er den größten Teil des Tages und durfte von niemandem, selbst von seiner Frau nicht, gestört werden. Schon frühmorgens mussten die Sachen zum Frühstück bereit stehen: also Tee, Kaffee, Butter, Honig, Eier, Gebäck, Obst und Geflügel. Direktor Mahler ging schon um sechs Uhr früh an die Arbeit. Ein Ofen vervollständigte [neben dem Klavier] die Einrichtung des Häuschens, den er selber anfeuerte und sich das Frühstück bereitete. Das Häuschen musste in einem Umkreis von 1 km von einem 1 ½ m hohen Zaun umgeben sein."
Bei Mahler war im vorhergehenden Sommer ein Herzklappenfehler festgestellt worden und der Arzt hatte ihm jede Anstrengung verboten. Er musste nun auf "kräftige Bewegung" verzichten, seine Arbeitsgewohnheiten "auf Bergen und in Wäldern herumzustreifen und in einer Art keckem Raub" seine Entwürfe davonzutragen um die Skizzen dann am Schreibtisch in Form zu bringen grundlegend ändern. Das Komponieren fiel Mahler deshalb anfangs besonders schwer. Erst am 1. Juli, drei Wochen nach seiner Ankunft, hatte er die Skizze zum ersten Satz von Das Lied von der Erde, in Händen. Diese Hürde überwunden vollendete er das Werk bis zu seiner Abreise am 4. September, obwohl neben seinen Schwiegereltern "zu viele Gäste" zu Besuch waren, darunter die Dirigenten Ossip Gabrilowitsch, Gustav Brecher und Oskar Fried, der Sänger Leo Slezak, die Kritiker Ernst Decsey und Julius Korngold, der Bankier Paul Hammerschlag, und der Regisseur Alfred Roller mit Gattin.
Im nächsten Jahr, 1909, reiste Mahler Anfang Juni nur mit der Köchin Agnes an, nachdem er Alma mit Tochter Anna zum Antritt einer Kur (bis 13. Juli) nach Levico im Trentino begleitet hatte. Diesmal waren es das schlechte Wetter, die anfängliche Einsamkeit und der Lärm im Haus, die ihn vorerst nicht arbeiten ließen. Trotz Regen und Kälte wanderte er aber jeden Tag die 2 ½ km ins Dorfzentrum von Toblach zur "Jause" und um die Post abzuholen, und auch in Aufkirchen war er oft am späten Vormittag anzutreffen.
Erst ab 23. Juni war Mahler in der Lage im Komponierhäuschen zu arbeiten, und gegen Ende August konnte er Bruno Walter berichten, dass er soeben dabei war letzte Hand an eine neue Symphonie zu legen, die Neunte. Darüberhinaus plante er die kommende Saison in New York, wo er seit 1907 tätig war, und widmete sich Gästen. In diesem Sommer waren es u.A. sein Jugendfreund und Anwalt Emil Freund, das amerikanische Ehepaar Arnold, und wiederum die Dirigenten Oskar Fried und Gustav Brecher. Letzterer war im jetzigen Grand Hotel einquartiert und Mahler berichtet vom "Südbahnhotel, das mit einer prächtigen 'Hall' ausgestattet ist, wo ich jetzt täglich meinen Jausencaffe einnehme". Auch Richard Strauss, der mit seiner Frau Pauline auf einer Automobiltour durch die Dolomiten war, traf er später dort zu einem Essen.
Im Sommer 1910 war Mahler anfänglich mit Proben zur Erstaufführung seiner 8. Symphonie in München im September beschäftigt und traf daher erst am 5. Juli in Toblach ein, wiederum nur in Begleitung seiner Köchin. Alma befand sich diesmal in Tobelbad in der Steiermark auf Kur. Alleine an seinem 50. Geburtstag am 7. Juli beklagte er sich in einem Brief an sie: "Sonst ist trotz aller meiner Verbote doch ein ziemlicher Trubel von nichtssagenden Depeschen und Ansichtskarten über mich losgegangen". Das Wetter war wieder kalt und regnerisch, die Kinder und Bauern störten mit ihrem Lärm, es gab viel Korrespondenz mit New York und Korrekturen an den Druckfahnen zur 8. Symphonie. Aber eine noch viel größere Belastung betraf bald sein Privatleben. Alma hatte in Tobelbad eine Affäre mit dem jungen Architekten Walter Gropius begonnen, der nach ihrer Abreise einen kompromitierenden Liebesbrief – angeblich versehentlich – an Mahler adressierte und Anfang August sogar persönlich in Toblach auftauchte. Im Trenkerhof kam es zur Konfrontation. Während Mahler in seinem Zimmer auf und ab ging und bei Kerzenschein die Heilige Schrift las entschied sich Alma in einem Gespräch mit Gropius dafür, bei ihrem Ehemann zu verbleiben. Es spricht für Mahlers unglaublichen Schaffensdrang, dass es ihm trotz dieser großen psychischen Belastung gelang in diesem Sommer zwei Sätze seiner 10. Symphonie und die Entwürfe für die restlichen drei zu komponieren. Seine tiefe Erschütterung durch diese Ehekrise spiegelt sich jedoch in Annotationen in der Partitur wider. Ende August unternahm er letztendlich die weite Reise nach Leyden in Holland, um Siegmund Freud zu konsultieren. Zurück in Toblach wurde am 31. August Almas 31. Geburtstag gefeiert und am 3. September reiste Mahler ab nach München, schwer gezeichnet von den Ereignissen des Sommers, der sein letzter sein sollte. Im Mai 1911 starb er nach 3-monatiger Krankheit an bakterieller Endokarditis in Wien.